Lindlar – Der folgende Bericht stammt von einem DLRG-Wasserretters, der von seinen Erlebnissen im Einsatz in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli berichtet – der Hochwassernacht.
„Selbst erfahrene Einsatzkräfte sind in dieser besonderen Nacht vom 14. auf den 15. Juli an ihre Grenzen gestoßen und teilweise darüber hinaus gegangen – Das ist ja nichts neues. Aber warum war das so? Ganz einfach: Hätte sich jemand meine Erlebnisse als Übung ausgedacht, hätte ich ihn gefragt, ob er eine etwas zu blühende Fantasie hat!
Zu mir: Ich bin ein 38-jähriger Familienvater, der seit seinem zwölften Lebensjahr ehrenamtlich bei der Wasserrettung aktiv ist (seit einem Jahr etwa als stellv. Leiter Einsatz bei der DLRG Lindlar e.V.) und auch schon bei so manchem Hochwasser geholfen hat. Darüber hinaus arbeite seit 18 Jahren im Rettungsdienst, wo man gelegentlich belastende und ungewöhnliche Situationen erlebt. Ich würde mich also schon als sehr erfahren bezeichnen.
Doch was ich in dieser Nacht erlebte, habe selbst ich mir nicht vorstellen können.
Es begann wie gewöhnlich mit einer SMS-Alarmierung, die mich um 16 Uhr auf meinem Handy erreichte. Ich verabschiedete mich von meiner Familie mit den Worten „Tschüss und bis später!“, setzte mich in mein Auto und machte mich auf den Weg zum Stützpunkt der Wasserrettung. Schon auf dem Weg dorthin, sah ich beeindruckende Bilder von überschwemmten Straßen und Bächen, die zu Flüssen angeschwollen waren. Ich telefonierte noch kurz mit einer langjährigen Freundin, die in der Nähe der Wupper in Leverkusen Opladen wohnt, ob denn die Straße dort noch passierbar sei. Sie sagte, dass die Wupper zwar sehr voll sei, aber noch viel Luft nach oben wäre. Da hätten wir beide wohl nicht gedacht das auch ihr Haus, später in der Nacht, ein Opfer der Fluten werden würde… Nach 40 Minuten und einigen Umwegen, erreichte ich unseren Stützpunkt.
Ich zog mich sofort um und rüstete mich, auf Grund meiner Ausbildung, als Strömungsretter aus. Wie der Name schon sagt, sind Strömungsretter speziell für die Rettung aus stark strömenden Gewässern ausgebildet und ausgerüstet. Weitere Kollegen trafen ein und bildeten mit mir einen Trupp. Sofort rückten wir aus. Der erste Einsatz brachte uns zu einem Bauernhof nahe der Ortschaft Witzhelden. Hier hatte ein kleiner Bach einen Bauernhof hüfttief überspült. Schafe drohten zu ertrinken, wurden von der Feuerwehr gerettet und wir brachten das alte Bauernpaar mit Hilfe eines „Raft“ in Sicherheit zu den Nachbarn.
Sofort ging es für uns weiter. Wir fuhren in ein zwei Kilometer entferntes Altenheim, welches drohte vollzulaufen. Dort angekommen fanden wir ein ertrunkenes Schaf von dem Bauernhof, wo wir kurz zuvor noch waren. Hier stellte sich aber nach kurzer Zeit die Lage als relativ unbedenklich heraus und so rückte mein Trupp wieder ab. Mittlerweile hatte sich jedoch die Situation an der Wupper verschlimmert. So fuhren wir in eine Ortschaft oberhalb von Leichlingen. Dort stand das Wasser mittlerweile stellenweise über einen Meter tief. Trotz eindringlicher Aufforderungen weigerten sich einige Bewohner ihre Häuser zu verlassen. Dort wo es ging, evakuierten wir Menschen, ebenso wie Hunde und Katzen. Während der Suche nach einem zurück gelassen Hund, entdecken wir noch einen verzweifelten alten Mann, der mittlerweile brusttief im Wasser stand. Sowohl ihn als auch den Hund konnten wir vor den steigenden Fluten retten. Irgendwann mussten wir die Evakuierung abbrechen, da der Strom durch den Energieversorger nicht abgestellt werden konnte. An anderer Stelle retteten wir Menschen aus ihren Autos oder deren Dächern, die nicht mehr wegkonnten oder retteten Menschen von einem Campingplatz nahe der Wupper. Mache brachten sich auch noch selbst in Gefahr. So holten wir um 0 Uhr zwei Männer von einer bereits überfluteten Wupperbrücke, die sich das Ganze nur mal aus der Nähe ansehen wollten.
Irgendwann mussten wir das Raft gegen ein Hochwasserboot mit Motor eintauschen, da das Wasser und die Strömung so sehr zunahmen. Wir fuhren mit dem Boot immer wieder Adressen im überfluteten Bereich an, auf der Suche nach so genannten „Lost Contacts“. Menschen, die von ihren Angehörigen nicht erreicht werden konnten und noch in ihren Häusern vermutet wurden. Wir brachen Türen oder Fenster auf und durchsuchten die überfluteten Häuser. Auf einem dieser Einsätze erreichte uns ein Hilferuf aus einem nahegelegenen Haus. Dort angekommen, sahen wir Taschenlampen im 2 OG des Hauses. Wir legten unser Boot an einem Haltestellenschild fest und stiegen aus. Das Wasser stand uns dort wortwörtlich bis zum Hals.
Wir schwammen um das Haus, da der Eingang auf der Rückseite lag und riefen, dass uns jemand öffnen sollte. Eine Frau antwortete, dass sie zur Haustür komme. Im Schein meiner Lampe bemerkte ich, dass so etwas Trockeneisnebel aus dem Türspalt waberte und direkt verflog. Auch hörte ich ein seltsames Brummen. Merkwürdig, denn der Strom war ja abgestellt. Die Frau öffnete die Türe und ich trat einen Schritt in den Hausflur. Dort sah ich, wie ein medizinischer Sauerstofftank im Wasser trieb und seinen Inhalt abblies. In der gesamten Wohnung lag ein Sauerstoffnebel über der Wasserfläche, gepaart mit dem bestialischen Gestank von ausgelaufenem Heizöl. Neben mir stand eine ältere Dame. Sie hatte mir die Türe geöffnet. Eine weitere Frau stand auf dem Treppenabsatz zum ersten Obergeschoss. Ich forderte beide Damen auf, mit uns das Haus zu verlassen. Sie entgegneten, dass wir noch den Mann aus dem zweiten Stock holen müssen.
Mit dem Bewusstsein wie im wahrsten Sinne des Wortes, brandgefährlich die Situation war, wiederholte ich meine Aufforderung und sagte, wir würden erst sie in Sicherheit bringen und dann ihren kranken Mann holen. Dem stimmte sie zu und wollte grade die Treppe zu uns runterkommen, als das unvorstellbare Passierte.
Die Frau auf der Treppe sah mich an und sagte, hinter mir würde es anfangen zu brennen. Ich drehte mich um und sah wie ein heller Funke aufs Wasser viel. Dann ging alles ganz schnell. Ich griff mir die Dame, die uns die Tür geöffnet hatte, zog sie mit mir vor die Haustür und schloss diese hinter mir. Im gleichen Moment gab es eine heftige Explosion. Wir zogen uns mit der Geretteten in den Vorgarten zurück und hörten dort die Schreie der Frau im Hausflur. Ich war mir sicher ihr beim Sterben zuhören zu müssen. Auf Hilfe brauchten wir auch nicht warten. Wir waren die einzigen, zu diesem Zeitpunkt, die das Haus erreichen konnten. Wir fühlten uns in diesem Moment unglaublich hilflos. Im kompletten Untergeschoss brannte das Wasser und das Feuer breitete sich rasend schnell aus. Geistesgegenwärtig rief mein Kollege, sie solle auf den Balkon gehen. Ich hätte nie erwartet, dass sie das schafft. Doch einen Moment später sahen wir die Frau an einem Fenster zum Balkon. Mein Kollege kletterte über ein Rankgitter auf den Balkon und ich folgte ihm, während unser dritter Mann bei der unverletzten Frau im Vorgarten blieb. Auf dem Balkon sahen wir, wie schwer verbrannt die alte Dame war. Sie war von Kopf bis Fuß schwarz verrußt. Wir zogen sie aus dem Fenster, da sie das aus eigener Kraft nicht schaffte. Dann stiegen wir mit Ihr über das Balkongeländer und sprangen gemeinsam ins Hochwasser. Wir ließen sie niemals los. So schwammen wir dann mit beiden Frauen, vorbei an ihrem brennenden Haus, zu unserem Boot. In diesem Moment wussten wir alle, dass wir ihren Mann verloren hatten. Es war ein unglaublicher Kraftakt, beide Frauen aus dem strömenden Hochwasser ins Boot zu hieven. Doch es gelang uns. Wir fuhren so schnell es ging an Land, versorgten die verbrannte Frau, bis wenig später ein Rettungswagen eintraf. Dann rüsteten wir unser Boot mit einer Pumpe der Feuerwehr aus und schützen bis in die Morgenstunden das Nachbarhaus vor einem Übergreifen des Feuers, während mittlerweile eingetroffene Kollegen mit Boot, eine junge Familie mit Kleinkind und ein älteres Ehepaar aus den angrenzenden Häusern evakuierten.
Das Haus brannte bis auf die Grundmauern nieder, bis ein Löschhubschrauber das Feuer eindämmen konnte. Was den Brand letztendlich auslöste, werden die Ermittlungen der Polizei zeigen.
Die Bilanz dieses Abends: Einen Menschen konnten wir nicht mehr retten. ABER allein mein Trupp hat mindestens 10 Menschen vor dem Ertrinken gerettet, neben diversen Hunden und Katzen. Zwei Menschen konnten wir vor dem Sichern Tod durch Verbrennen retten. Von den unzähligen Geretteten der anderen Trupps gar nicht gesprochen. Und das alles ehrenamtlich. Wir zahlen einen Mitgliedsbeitrag an den Verein, damit wir leben retten können und auch Material dafür haben. Die Ausrüstung, mit der wir arbeiten, schaffen wir uns teilweise sogar privat an. Die muss jetzt leider auch, wegen der Kontamination entsorgt werden. Meine Kollegen sind im „normalen Leben“ Studenten, Auszubildende, Versicherungskaufleute, Landschaftsgärtner, Elektriker oder Kfz- Schlosser…
Wir alle müssen nun das erlebte verarbeiten. Dabei wird uns allerdings sehr gut geholfen! Was wir alle in dieser Nacht geleistet haben, verdient (meinen) allergrößten Respekt. Macht weiter so! Und ich bin mir sicher: Das werden wir!
Dieser Text soll aufmerksam machen, dass in solchen Situationen nicht nur das Wasser gefährlich ist, die Menschen einfach auf Aufforderungen der Einsatzkräfte hören sollen (wir übertreiben nicht und wollen wirklich nichts Unmenschliches oder böses) und eventuell den ein oder anderen dazu bewegen auch einer solch überragenden Truppe beitreten zu wollen.“
Bericht: D. Lange
Quelle: Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft, Ortsgruppe Lindlar e.V.