„Ich kann immer noch zulegen”
Gummersbach – Mit 34 Jahren ist Carsten Lichtlein der „Oldie” der deutschen Nationalmannschaft. Als solcher aber hatte der Gummersbacher Keeper maßgeblichen Anteil an dem bislang begeisternden Auftritten der DHB-Auswahl. Gut möglich, dass der gebürtige Würzburger, der seit 2013 das Tor der Oberbergischen hütet, die gute Stimmung aus der Hinrunde des VfL mit nach Katar ins WM-Quartier gebracht hat. Wir trafen ihn vor Ort zu einem ausführlichen Interview.
Nach drei WM-Spielen steht die deutsche Mannschaft mit 5:1 Punkten vor dem möglichen Gruppensieg. Wie kann das sein?
Carsten Lichtlein: Das fühlt sich richtig gut an. Die Ausbeute bislang ist ganz hart am Optimum. Im Vorfeld der WM hat uns das sicher kaum jemand zugetraut, dass wir nach den drei superschweren Auftaktspielen eine nahezu makellose Bilanz aufweisen. Unser Ziel war es von Anfang an, so gut wie möglich abzuschneiden. Dass wir nun sogar den Gruppensieg aus eigener Kraft schaffen können, ist umso bemerkenswerter. Jetzt spielen wir – „nur noch” in ganz dicken Anführungszeichen – gegen Argentinien und Saudi Arabien. Es wäre aber leichtfertig, diese beiden Gegner – vor allem Argentinien – auf die leichte Schulter zu nehmen. Wir werden weiter äußerst fokussiert bleiben, um jetzt aus dieser Ausgangslage auch das bestmögliche Resultat heraus zu kitzeln.
Ist das bisherige Abschneiden auch eine nachträgliche Rechtfertigung für die Teilnahme der deutschen Mannschaft an dieser WM, die nach verpasster Qualifikation erst nachträglich zum WM-Teilnehmer wurde?
Lichtlein: Dass es im Vorfeld böse Stimmen bezüglich der Nachnominierung gab, dafür können wir Spieler ja nichts. Als Team diskutieren wir das auch nicht. Wir haben diese Chance bekommen, und wir wollen sie auch nutzen. Die Mannschaft, die nun hier die WM spielt, ist ja auch eine andere im Vergleich zu den WM-Qualifikationsspielen gegen Polen. Sie ist auf einigen Positionen verändert. Es ist großartig zu sehen, mit welcher jugendlichen Leichtigkeit das Team hier auftritt und sich auch von einigen kleinen Misserfolgserlebnissen in einem Match nicht entmutigen lässt. Das spricht für eine neue Mentalität in der Auswahl.
Welchen Anteil hat Bundestrainer Dagur Sigurdsson daran?
Lichtlein: Er hat mit seiner Philosophie von Ruhe und Gelassenheit sehr viel dazu beigetragen. Das gibt gerade auch den jungen Spielern das nötige Selbstvertrauen in kniffligen Situationen. Ich glaube, wenn ein Trainer dann hektisch wird, überträgt sich das auch auf eine Mannschaft Und gerade eine junge Truppe kann sich dann rasch davon anstecken lassen.
Mit fast 35 Jahren sind Sie der älteste Spieler im WM-Kader des DHB. Fällt Ihnen deshalb auch eine besondere Rolle hier in Katar zu?
Lichtlein: Eigentlich nicht. Ich habe natürlich immer ein offenes Ohr, wenn ein junger Spieler auf mich zukommt, aber ich gebe nicht ungefragt irgendwelche Ratschläge. Ich habe das Gefühl, das ich umgekehrt sehr von den jungen Leuten profitiere. Ich lasse mich sehr gern von der jugendlichen Unbekümmertheit anstecken. Das ist sehr angenehm. Ich erinnere mich daran, dass das früher bei der Nationalmannschaft viel verbissener zuging.
So viele Jahre Ihrer Torhüterkarriere mussten Sie sich mit der Position des dritten Keepers zufrieden geben. Hat Sie das nicht auch hin und wieder genervt?
Lichtlein: Ich habe mich davon nicht entmutigen lassen, sondern habe die Situation als Ansporn begriffen, mich noch weiter zu verbessern. Ganz offenbar zahlt sich dieser Reifeprozess nun aus. Klar, ich habe auch meine schweren Zeiten erlebt, als ich beispielsweise keine Berücksichtigung fand für die Olympischen Spiele in Peking. Da fühlt man sich teilweise schon ein wenig verkannt. Aber jetzt ist meine Chance da. Und die werde ich nutzen.
Wie weit soll es denn nun gehen bei dieser WM?
Lichtlein: Abwarten. Erst einmal sollten wir in unserer Gruppe Erster oder Zweiter werden. Und dann schauen wir mal, wer unser Gegner im Achtelfinale sein wird. Das war vor der WM unser Minimalziel, aber wir wollen uns damit natürlich nicht mehr zufrieden geben. Wir wollen unbedingt ins Viertelfinale, um einen Platz unter den ersten Sieben dieser WM zu belegen. Das wäre dann gleichbedeutend mit der Qualifikation für ein Olympia-Quali-Turnier. Das könnte den Weg nach Rio 2016 schon ein wenig einfacher gestalten.
Nicht nur die WM verläuft bislang großartig. Auch der bisherige Saisonverlauf beim VfL Gummersbach dürfte Ihnen viel Freude bereiten.
Lichtlein: Auch da ist die Situation derzeit sehr erfreulich. Wir haben eine junge Mannschaft, die eine großartige Hinrunde hingelegt hat. Dabei war es schon ein kleines Risiko, das der Klub zu Saisonbeginn eingegangen ist. Der VfL hat ausschließlich junge Leute verpflichtet. Viele haben damals gedacht: Kann das gutgehen? Es kann. Wenn ich sehe, wie großartig beispielsweise Simon Ernst in der Abwehr oder Julius Kühn im Angriff spielen, dann macht das richtig viel Freude.
Erklären Sie doch mal das Erfolgsgeheimnis des VfL.
Lichtlein: Da kommen einige Aspekte zusammen. Wir haben in dieser Saison einen breiteren Kader, sodass wir mehr Möglichkeiten vor allem im Rückraum haben. Und dann haben wir gleich zu Saisonbeginn einige Punkte gegen vermeintlich bessere Teams gewonnen, die so nicht zu erwarten waren. Das hat den jungen Spielern Selbstvertrauen gegeben. Du bist halt viel unbekümmerter, wenn du nicht gleich in jedem Spiel unter massivem Druck stehst. Und dann noch eins: Bei den Heimspielen werden wir auch von der unglaublichen Stimmung unserer Fans in der Schwalbe Arena getragen.
Macht die neue Halle so viel aus?
Lichtlein: Das ist so. Unmittelbar nach dem Umzug haben wir uns zwar erst ein wenig schwer getan und prompt ein paar Heimspiele verloren. Aber in der Rückrunde der vergangenen Saison und vor allem in der aktuellen Hinrunde ist die Arena fast eine Festung. Die Zuschauer kommen in stetig größerer Zahl und identifizieren sich mit dem Team. Und wir haben mittlerweile auch eine intensive Fankultur. Die Stimmung kommt ganz anders als früher rüber. Und für den Klub ist das auch wirtschaftlich eine deutliche Verbesserung. Mit der neuen Halle sind wir ein gewaltiges Stückchen konkurrenzfähiger geworden, weil wir nun auch für etliche Sponsoren wieder interessant geworden sind.
Wohin soll der Weg des VfL führen?
Lichtlein: Derzeit liegen wir auf dem siebten Platz. Das hat uns zu Saisonbeginn niemand zugetraut. Es gibt erste Stimmen, die schon wieder vom internationalen Geschäft sprechen. Ein Europacup-Platz wäre zwar ein Traum, aber das halte ich in dieser Saison für vermessen. Allerdings glaube ich, dass das Team zukünftig das Potenzial besitzt, wenn die Talente hier vor Ort kontinuierlich weiter gefördert werden.
Und wie sieht Ihre Zukunftsplanung aus?
Lichtlein: Ich habe noch ein großes Ziel: Ich möchte im Sommer 2016 in Rio zu den Olympischen Spielen. Ich war noch nie bei Olympia. Das möchte ich einmal erleben. Danach könnte es sein, dass meine Nationalmannschaftskarriere endet. Auf Vereinsebene möchte ich aber schon noch länger spielen, solange ich von großen Verletzungen verschont bleibe. Ich bin nun 34 Jahre alt und spüre, dass ich immer noch zulegen kann.