Gummersbach – Wenn der deutsche Rekordmeister auf den Altmeister und einstigen Bundesliga-Dino trifft, dann kann man wohl zu Recht von einem Klassiker sprechen. In der Tat haben der THW Kiel und der VfL Gummersbach in der (zweiteiligen und ab der Saison 1977/78 dann einteiligen) Bundesliga so oft die Klingen gekreuzt wie keine anderen Mannschaften. Wurden diese Zweikämpfe in der Vergangenheit meist auf Augenhöhe ausgetragen, so haben sich in den letzten Jahren die Kräfte doch eindeutig verlagert – zugunsten der Kieler, die seit über zehn Jahren die Bundesliga dominieren und seit 2005 – mit zwei Ausnahmen – jeweils den deutschen Meistertitel an die Kieler Förde holten.
In der vergangenen Saison gingen die Schützlinge des früheren Gummersbacher Coachs Alfred Gislason, der seit 2008 auf der THW-Bank das Sagen hat, aber leer aus und konnten den erfolgsverwöhnten Fans keine Trophäe vom Balkon des Kieler Rathauses präsentieren. Und in der laufenden Saison sieht es derzeit auch nicht nach der 21. Deutschen Meisterschaft aus, denn in der Tabelle weisen die Kieler mit 36:8 Punkten schon fünf Punkte Rückstand auf Tabellenführer SG Flensburg-Handewitt aus. Bei nur einer Heimniederlage in dieser Bundesligasaison (gegen die Rhein-Neckar Löwen) kann man aber weiterhin von einer absoluten Heimmacht sprechen.
„Darüber müssen wir nicht reden. Kiel gehört zu den besten Mannschaft Deutschlands und Europas, auch wenn sie gerade im Umbruch stecken“, stellt VfL-Trainer Emir Kurtagic klar, der von seinen Jungs eine hochkonzentrierte Leistung über 60 Minuten erwartet. Nach dem morgigen Training beginnt bereits die Reise in den hohen Norden, was dem Trainer sogar diesmal ganz recht scheint: „In diesem Fall kommt mir die kurze Pause ganz gelegen. Ansonsten würde ich wahrscheinlich noch zu lange über den vergangenen Samstag nachdenken.“ Kein Wunder, dass ihn speziell die Art und Weise dieser Heimniederlage gegen Wetzlar besonders wurmt. Trotz einer schwachen Deckungsleistung und einer noch schwächeren Abschlussquote im Angriff unterlag sein VfL nur mit einem Treffer und versäumte es damit, sich ein Polster auf die Abstiegsränge zu erspielen. „Natürlich tut das weh, aber wir müssen jetzt nach vorne gucken. Unser Ziel muss es mindestens sein, uns über eine gute Leistung in Kiel Selbstvertrauen für die kommenden Wochen zu holen.“
In der Liga etwas hinten dran, haben die Mannen um den kroatischen Superstar Domagoj Duvnjak aber sowohl noch die Chance auf den DHB-Pokalsieg als auch Titelchancen in der Champions-League, obwohl sie dort in den Gruppenspielen bisher schon einige Rückschläge hinnehmen mussten. Aber die Kieler hoffen auf ihre Stärken in den K.o.-Spielen. Und dass sie für jede Überraschung gut sind, bewiesen sie noch am vergangenen Sonntag, als sie gegen den souveränen Tabellenführer FC Barcelona beim 27:27 ein verdientes Unentschieden erkämpfte. Dabei waren Rechtsaußen Niclas Ekberg und Rückraumspieler Marko Vujin mit je acht Toren die erfolgreichsten Kieler Werfer. „Das war eine sehr starke Leistung der Kieler mit spielerischer Klasse und Emotionen“, schwärmt Kurtagic, der sich das Spiel des kommenden Gegners logischerweise ganz genau angeschaut hat.
Die großen Stärken des Kieler Starensembles sind ohnehin jedem Handballfan bestens bekannt. Angefangen von der Torwartposition – hier hat Trainer Gislason mit Andreas Wolff und Niklas Landin die Qual der Wahl zwischen zwei Weltklasse-Keepern – bis zur Linksaußenposition, wo der frühere VfL-Torjäger Raul Santos in Konkurrenz zu Rune Dahmke um Spielanteile kämpfen muss, ist das THW-Team auf jeder Position mit zwei Klassespielern bestückt. Allein die Rückraumbesetzung mit Duvnjak, Christian Dissinger, Nikola Bilyk, der Sekunden vor dem Abpfiff das Ausgleichstor gegen Barcelona erzielte, Lukas Nilsson, Marko Vujin, Christian Zeitz und Steffen Weinhold gibt Gislason eine Vielzahl von Optionen und Wechselmöglichkeiten. Ebenso am Kreis, wo der Ex-Gummersbacher Patrick Wiencek zusammen mit Kapitän Rene Toft Hansen ein torgefährliches Gespann bilden, die zusammen auch den Mittelblock in der Abwehr stellen.